Christian Spuck: Ist dieser Mann wirklich das Beste für Berlins Staatsballett? - WELT (2024)

Christian Spuck soll demnächst Deutschlands größte Staatstanzcompagnie aus der tiefsten Krise ihrer Geschichte holen. Noch ist der Choreograf Ballett-Chef in Zürich. Porträt eines Mannes, der sich sehr gut in Fußstapfen auskennt.

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Zwei rüstungsklappernde Ritter, betongrauschwarze Stellwände, trübes Industrielicht. Standardstühle, stillebenhaft herumsitzende Tänzer mit dem Gesicht zur Wand. Ein paar als Depressionstick sich wiederholende Bewegungsmuster, viele glatte Pas-de-Deux-Exerzitien, wenige Gruppenszenen, am Ende ein riesiges Ensemble an der Rampe, dazwischen verteilt sieben Sänger.

Diverse Monterverdi-Hits, meist aus dem achten Madrigalbuch, selbst die dramatischeren melancholisch verlangsamt. Bleischwere, sich in Wiederholungen verfangende Stimmung, müdschwere Atmosphäre, die auch – als schüchterne Gegensätzlichkeiten – die sehr leise aus der altmodischen Tonbandmaschine tönenden Italo-Schlager nicht vertreiben, „Azzurro“ nicht, noch weniger die „Caprifischer“.

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Höflicher Beifall, so sind sie die Zürcher. Obwohl Christian Spucks „Monteverdi“-Premierenprojekt so gar nicht aus der bleiernen Pandemie-Lethargie dieser Wintermonate weiterhilft. Obwohl der für das Hausbarockensemble La Scintilla eben als erster Gastdirigent ernannte Riccardo Minasi Monteverdi wie seine Zeitgenossen samt seiner Geige mit den 13 Mitmusikern von innen kostbar intensiv klangleuchten lässt.

So also ist es, das jüngste Werk von Christian Spuck. Noch Ballettdirektor in Zürich, ab Sommer 2022 designierter Intendant am Staatsballett Berlin, ab Sommer 2023 komplett verantwortlich für Deutschlands größte, leider lange noch nicht beste Tanzcompagnie.

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Kein Wunder, der Schweizer Choreograf, der berühmteste des 20. Jahrhunderts, er tat das 14 Jahre lang, bis 2012. Davor war der gebürtige Basler – nach einem Zwischenspiel in Düsseldorf – 18 Jahre lang der Tanztruppe seiner Heimatstadt vorgestanden. Die Schuhe waren also groß, als der damals 43-jährige Deutsche Christian Spuck im Opernhaus am Zürichsee durchstartete.

Gar nichts flamboyant Künstlerisches

Er tat es auf seine Art, sorgfältig, verlässlich, überschaubar kreativ. Sieht man den schmalen Mann mit der Brille und dem Bärtchen, meist ist er unauffällig gekleidet, könnte er auch sofort als Designer oder Architekt durchgehen. So gar nichts flamboyant Künstlerisches geht von ihm aus.

Und wie am Reißbrett entworfen, stilistisch geschmeidig den Wünschen der Kunden oder Interpreten angepasst, so wirken auch meist seine Stücke. Die haben wenig Widerständiges, Überraschendes, Individuelles aufzuweisen.

Dafür sind sie gut gemacht und praktikabel: auf den Punkt gebrachte, durchaus schlüssig erzählte Zeitgeistprodukte der Ballettbühne. Werden Sie eine längere Halbwertzeit aufweisen? Eher nicht.

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Doch Christian Spuck, nett, überlegt, in Maßen eloquent, selbstbewusst, aber nicht auftrumpfend, passt so perfekt in einen geölten Betrieb wie Zürich. Da ist man Experimenten eher abhold. Den hat er ganz auf sich abgestellt.

Solotänzer mit Persönlichkeit und Anspruch – nicht wichtig, die Fluktuation in Zürich ist ordentlich. Die Truppe hingegen, 36 Mitglieder umfasst sie als größtes Tanzensemble der Schweiz, hinzu kommen die 14 Alumni des Junior-Balletts, wirkt dynamisch, sportiv. Was ihr fehlt, ist freilich Seele.

Die atmen aber auch die Stücke ihres Chefs nur sehr selten. Christian Spuck ist ein hessisches Cleverle. Das hat sich in seiner Stuttgarter Lehrzeit noch verstärkt.

Marcia Haydées letzter Tänzer

Spuck, musisch, Klarinette spielend, war ein Spätberufener. Als bereits 23-jähriger Tänzer hat er sich zäh nach Abitur und Zivildienst durchgebissen, erst im der Moderne zugeneigten Flandern, dann als Freier in Stuttgart, bis er, als angeblich letzter Tänzer, 1994 von Marcia Haydée ans Stuttgarter Ballett engagiert wurde.

So verfolgt er seine Erblinie bis hin zu John Cranko. Denn in der Schwabenmetropole haben sie ihre Hauschoreografen immer schon gern selbst ausgebrütet. Zu einem solchen wurde er, erste eigene Stücke reichen bis 1996 zurück, dann 2001. Er blieb es bis zum Wechsel nach Zürich.

Während Spuck-Stücke auch auf anderen Ensemblebühnen von Düsseldorf bis Berlin und Essen gefragt waren, bildete er rasch sein Erfolgsmodell heraus. Er ist musikalisch, dramaturgisch begabt, kann gut adaptieren und kopieren.

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Spuck suchte sich schon für seine abstrakten Werke gern Anregungen aus der bildenden Kunst, baute bald verstärkt Handlungsballette nach geschickt für die Tanzbühne gewählten Vorgaben von Büchner, E.T.A. Hoffmann, Wedekind, Edward Bond. Früh hatte er seine dominierende Kostümbildnerin Emma Ryott gefunden. In Zürich kam für das meist minimalistische Bühnenbild Rufus Didwiszus hinzu.

Böse Zungen nennen Christian Spuck einen „Galeristen“. Einen, der mehr kuratiert als kreiert. Das Zürich Ballett, wo die letzten Spoerli-Stücke sehr schnell ausrangiert wurden, entwickelte sich in der vergangenen Dekade zum glamourösen Umsteigebahnhof der meisten wichtigen zeitgenössischen Choreografen. Des viel individuelleren Ex-Stuttgarters Marco Goecke wie des Engländers Wayne McGregor oder der Kanadierin Chrystal Pite. Immerhin: Manche schufen hier auch Neues.

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Und der Chef, dem man intern durchaus auch nicht mehr ganz zeitgemäß autoritäres Gebaren nachsagt, hat bald zu aller Zufriedenheit die abstrakteren Kreationen sein lassen und sich mit seinen überschaubar narrativen Abendfüllern eingerichtet.

Spuck, der gerade auch an der Deutschen Oper Berlin in „La Damnation de Faust“ und „Der fliegende Holländer“ überschaubar erfolgreich ein paar Mal mit dem Musiktheater flirtete, wuchtete in Zürich die neu ausgemessenen Klassiker wie „Nussknacker“ oder „Dornröschen“.

Er ließ Tolstois „Anna Karenina“ tanzliebesleiden, schickte die Truppe auf eine arg beliebig öde „Winterreise“. Und er ließ bei Verdis „Requiem“ große Gefühle zu. Zudem hatte er in Zürich großen Erfolg mit der intensiv-spröden Helmut-Lachenmann-Oper „Das Mädchen mit den Schwefelhölzchen“ als Tanzmusikdrama.

Keinerlei emotionale Erwärmung

Auf diesem Weg schreitet Christian Spuck jetzt bei „Monteverdi“ voran. Choreografisch ist das von einigermaßen begrenzter Imaginations- und noch eingeschränkterer Innovationskraft. Christian Spuck will nicht bebildern, aber seine Versuche weitgehend heteronormativer Paarungskonstellationen als mehr oder weniger abstrakte tänzerische Ergänzung der Musik gibt dem immer öder werdenden Abend keinerlei emotionale Erwärmung.

Gefühle bleiben seltsam gefriergetrocknet, die Arrangements erscheinen allzu dekorativ. Am Ende ballt sich alles zum Tableau. Auch die Kostüme sind mit Pailletten und schwingend gelben Röcken etwas opulenter geworden. Doch knapp und freundlos kommt es mit einem letzten lauten Rüstungsgeklapper zum müden Monteverdi-Ende.

Und dann kommt in Zürich die letzte Spuck-Spielzeit. Gleichzeitig wechselt er schon nach Berlin zum abgewirtschafteten Staatsballett. Dort braucht man zwar einen alerten Aufräumer wie ihn ganz dringend. Aber eigentlich auch einen choreografischen Genius.

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Author: Stevie Stamm

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